10 Jahre, 10 Interviews: Thomas Madreiter

Die Smart Klima City Strategie Wien feiert 2024 ihren 10. Geburtstag! Doch was braucht es, damit eine Strategie Fuß fassen kann? Wie entsteht eine Strategie und wer schreibt sie? Was steckt hinter dem Begriff Smart City und wieso brauchen wir diese Strategie heute mehr denn je?

Wir nehmen das Jubiläum zum Anlass und blicken in unserer Reihe „10 Jahre, 10 Interviews“ auf die Anfänge und den Werdegang der Strategie – und natürlich in die Zukunft. Aus diesem Anlass kommt Dipl.-Ing. Thomas Madreiter zu Wort. Thomas Madreiter ist leidenschaftlicher Läufer und Planungsdirektor der Stadt Wien. Er ist Experte für Planungsprozesse und koordiniert von Anfang an, seit 2010, die Smart City Wien.

1. Rückblick und Meilensteine

Was waren die bedeutendsten Erfolge und Meilensteine der Smart City Initiative in den letzten 10 Jahren?

Als erster Meilenstein fällt mir ein Workshop ein, hier wurde an zwei Tagen die Vision für Wien im Jahr 2050 entwickelt. So eine Ausarbeitung mit zahlreichen Akteur*innen war zu dieser Zeit absolut neuartig und bahnbrechend. Der zweite Meilenstein knüpft daran an: Das ist für mich der Beschluss der Strategie im Gemeinderat. Nach außen hin war das ein sichtbarer Finalpunkt, dem jedoch ein umfassender, zu diesem Zeitpunkt einzigartiger Prozess mit vielen Beteiligten vorangegangen ist.

Als besonderen Erfolg der Smart City Strategie sehe ich, dass sie den Boden für viele spezifische Initiativen der Stadt, wie zum Beispiel den Klimafahrplan, aufbereitet hat. Sie setzt nicht nur den Rahmen, sondern liefert viele Argumente dafür. Andere Erfolge sind natürlich die regelmäßigen hohen Platzierungen bei internationalen Rankings und erfolgreiche Kooperationen mit Bund und anderen Städten, die wir aufsetzen konnten.

2. Persönliche Highlights

Welches Erlebnis oder welche Begegnung im Rahmen der Smart City Initiative hat Sie persönlich am meisten berührt oder inspiriert?

Es macht mich stolz, dass wir aufgrund unserer eigenen Wiener Interpretation von Smart City international viel Interesse geweckt haben. Vor über 10 Jahren war Smart City noch sehr High Tech und dementsprechend stark in Wirtschaft, Innovation und IT verankert. Das Wiener Spezifikum war und ist heute noch, Smart City holistisch anzulegen. „Niemand wird zurückgelassen“ – ein Punkt, der heute noch aktuell ist und auch international immer mehr an Bedeutung gewinnt.

3. Technologische Fortschritte

Wie haben technologische Innovationen die Entwicklung und Umsetzung der Smart Klima City Strategie beeinflusst? Wie werden sie es in Zukunft tun?

Für uns stand immer folgende Frage im Zentrum: Cui bono? (Wem zum Vorteil?). Die Anwender*innen müssen im Mittelpunkt stehen und eine Stadt muss sich überlegen, auf welche Fragen technische Lösungen eine Antwort sind. Eine gute Strategie als Orientierungshilfe ist hier enorm wertvoll: Zahlt die technische Lösung XY auf die Strategie ein? Bringt sie Wien weiter? Wien sieht Technologie nicht als Selbstzweck, sondern als Werkzeug für ein besseres, angenehmeres, faireres und sozialeres Leben der Bewohner*innen. Das Motto lautet hier nicht „so viel wie denkbar“, sondern „so wenig wie möglich“.

4. Bürger*innenbeteiligung

Inwiefern konnten die Bürger*innen in den letzten zehn Jahren in die Gestaltung der Smart Klima City Wien einbezogen werden?

Am Beginn der Smart City Wien stand ein noch nie dagewesener Stakeholder-Prozess mit ganz vielen unterschiedlichen Akteur*innen aus Verwaltung, Forschung und Unternehmen. Höchst bemerkenswert war, dass trotz der vielen Meinungen ein sehr visionäres, gelungenes Zielpapier entstanden ist. Dieser Prozess hat gezeigt, dass vor allem in Zeiten intensiver Veränderungserfordernisse breite Beteiligung der Schlüssel zum Erfolg ist.

5. Herausforderungen und Lösungen

Welche großen Herausforderungen mussten Sie auf dem Weg zur Smart Klima City überwinden und wie wurden bzw. werden diese gemeistert?

Der Smart-City-Begriff hatte damals viel Erklärungsbedarf, weil er bedeutungsoffen und unscharf war. Der Begriff selbst war wegen EU-Erfordernissen gesetzt und wir wollten diesen nicht verändern, aber neu aufladen und mit neuem Leben erfüllen. Da behaupte ich frech, dass uns das gut gelungen ist!

Die Forschung hat schon gezeigt, dass bloße technische Lösungen in komplexen sozialen Situationen nicht zum Erfolg führen. Insofern gab es immer viel Diskussionsbedarf. Wer Veränderungen voranbringen will, muss Lust darauf haben, zu kommunizieren, sich mit gegnerischen Positionen auseinanderzusetzen und Konflikte produktiv zu managen. Denn Interessenskonflikte sind per se nichts Negatives – durchs Reden kommen d’Leut zam.

6. Soziale Aspekte

Wie berücksichtigt die Smart Klima City Strategie die sozialen Bedürfnisse und die Lebensqualität der Wiener Bevölkerung?

Die sozialen Bedürfnisse und die Lebensqualität der Wiener Bevölkerung sind in den 3 Zielbereichen ganz hoch angesiedelt. Unser Ausgangspunkt für die Strategie ist das Bild der Stadt als soziales System, also als Kollektiv von Menschen in ihrer gesamten Bandbreite – wie eine Gaußsche Glockenkurve mit Ausreißern nach oben und unten. Wir bedienen nicht ein Top-Performer-Segment, sondern die Gesamtbevölkerung. Ich kann bei vielen Services pfiffige IT-Lösungen anbieten, muss aber gleichzeitig auch Möglichkeiten für jene schaffen, die damit nicht umgehen können. Das unterscheidet eine Stadt von einem privaten Unternehmen. Wir können den Bewohner*innen nicht nur einen KI-Chatbot gegenüberstellen.

7. Internationale Zusammenarbeit

Welche Rolle spielte die (internationale) Zusammenarbeit und der Austausch mit anderen Städten in der Entwicklung von Wien?

Den internationalen Austausch mit anderen Städten halte ich für ganz wesentlich, diese Vernetzung ist unverzichtbar. Die Herausforderungen sind ja international und vor allem im europäischen Raum sehr ähnlich. Auch die großen europäischen Förderprogramme – für uns war es „Smarter Together“, gefördert durch das H2020 Programm der EU – sind sehr prägend. Hier ist die Richtschnur jedoch auch immer die, vorher zu prüfen, welche Projekte uns tatsächlich voranbringen und nicht nur reiner Selbstzweck sind.

8. Persönlicher Ausblick

Was motiviert Sie persönlich, an der Weiterentwicklung der Smart Klima City Wien mitzuarbeiten, und was wünschen Sie sich für die Zukunft dieser Initiative?

Meine These ist, dass die Veränderungserfordernisse wachsen und auf absehbare Zeit wird sich das auch nicht ändern. Insofern ist eine Smart City Strategie – wenn sie gut gemacht ist und gelebt wird – der Rahmen, der in diesen volatilen Zeiten Stabilität und gleichzeitig Agilität gibt. Vergleichen wir es mit einer Rad-fahrenden Person: Wenn ich aufhöre, mich zu bewegen, falle ich um. Stabilität ist niemals mit Stillstand zu verwechseln! Unser Ziel ist es, dass Wien stabil bleibt. Und das wünscht sich auch die Bevölkerung.

9. Visionäre Zukunftsbilder

Wenn Sie einen Tag in der Smart Klima City Wien im Jahr 2034 erleben könnten, wie würde dieser Tag aussehen?

Jedenfalls nicht mit Wohngebäuden am Grund der Donau oder Flugtaxis (schmunzelt). Die Frage ist, wie wir es schaffen, durch neue Methoden die Stadt in ihren traditionellen Grundwerten zu bewahren. Und unter welchen Rahmenbedingungen wir Veränderungen stattfinden lassen wollen. Ziel ist eine Stadt, die gute Begegnungsorte schafft und sozial balanciert ist, die solidarische Grundwerte vertritt und wo nicht das Faustrecht des Stärksten gilt. Eine Stadt, die sich immer die Frage stellt, ob sie wirklich fair ist, auch fair mit Ressourcen umgeht. Und wenn wir das gut hinbekommen, ist die Arbeit trotzdem nicht erledigt, sondern ein permanenter Prozess des Optimierens und Hinterfragens. Dann ist auch Wien 2023, 2044 und zu jedem anderen Zeitpunkt eine lebenswerte Stadt mit dem Anspruch, niemanden zurückzulassen.

10. Nachhaltigkeitstrends

Gibt es einen aufkommenden Trend oder eine neue Technologie im Bereich Nachhaltigkeit, die Sie besonders begeistert und die Sie sich für Wien in der Zukunft wünschen?

Der aufkommende Trend der Kreislaufwirtschaft ist derzeit noch unterbelichtet, auch global gesehen. Wir tragen als entwickeltes Land zum weltweiten Ressourcenverbrauch bei, auch wenn wir uns hier gern klein machen wollen. Und von diesem Ressourcenverbrauch müssen wir radikal runter. Wenn wir die Lebensqualität erhöhen wollen, müssen wir Produkte gezielter und langfristiger nutzen. Die Produkte entstehen ja nicht einfach irgendwo und wenn ich sie wegschmeiße, sind sie ja nicht plötzlich verschwunden. Das ist physisch nicht möglich und ökologisch und sozial gesehen Blödsinn. Hier müssen wir uns über neue Formen der Kreislaufwirtschaft Gedanken machen.

Danke für das Gespräch!

Thomas Madreiter, Planungsdirektor der Stadt Wien.