Räume und Flächen in der Stadt sind wertvoll: Beides mit NachbarInnen zu teilen, steigert die Lebensqualität. Das ist das wichtigste Ziel der Stadtentwicklungsstrategie Pocket Mannerhatten.
Der zunehmende Nutzungsdruck auf Flächen und Räume in Städten, steigender Verbrauch von Ressourcen, klimawandelbedingte Probleme (z.B. Urban Heat Islands), soziale Veränderungen und neue Nutzungsansprüche stellen Stadtverwaltungen und -bewohnerInnen vor Herausforderungen und erfordern innovative Methoden und Strategien. Mit dem Konzept Pocket Mannerhatten soll der Ansatz der sanften Stadterneuerung für bestehende Stadtquartiere im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklungsstrategie / Smart City erweitert werden: Nach dem Motto: „Wer teilt, bekommt mehr“ werden die wertvollen Ressourcen in der Stadt systematisch liegenschaftsübergreifend geteilt. Um auch diejenigen EigentümerInnen in die Umsetzung einbinden zu können, die bisher nur schwer zu erreichen waren, wird ein innovatives Ausgleichssystem mit Förderimpuls („Bonus-System“) entwickelt.
Sharing als Stadtentwicklungsstrategie
Das Konzept beruht auf der Idee, verschiedene Gebäudebereiche und -funktionen systematisch gebäude- und parzellenübergreifend zu verknüpfen, und dadurch Synergien zu erzeugen. Dafür stehen verschiedene Sharing-Optionen zur Verfügung, die entsprechend der räumlichen Gegebenheiten sowie der Bedürfnisse und Wünsche der NutzerInnen und EigentümerInnen kombiniert werden können. So können beispielsweise Innenhöfe oder Dachflächen zu einem oder einer größeren zusammengelegt werden. Gemeinschaftsräume können spezifisch gestaltet und von den BewohnerInnen mehrerer Gebäude benutzt werden. Es wird möglich, zukunftsweisende Energiesysteme gebäudeübergreifend und rentabler zu organisieren und vieles mehr. Diese Ideen zum räumlichen Sharing werden mit einem ausgleichsorientierten Fördersystem und moderierten Partizipationsprozessen zu einer innovativen Stadterneuerungsstrategie kombiniert.
Von der Idee zur Realität
Die Grundidee zu Pocket Mannerhatten stammt von Architekt Florian Niedworok, der das Konzept im Jahr 2012 im Rahmen seiner Diplomarbeit bei Prof. Bart Lootsma an der Universität Innsbruck entwickelt hat. Im Jahr 2014 gewann das verfeinerte Konzept den ersten Preis beim Superscape Award in Wien. In den Jahren 2016 und 2017 bearbeitete ein multidisziplinäres Konsortium „Pocket Mannerhatten Ottakring“ als Sondierungsprojekt im Rahmen des Programms „Smart Cities Demo“ des Klima- und Energiefonds. Das Team konnte die Rahmenbedingungen, unter denen die räumlichen Strategien des Tauschens und Teilens funktionieren können, in einer interdisziplinären, partizipativen Ausarbeitung konkret untersuchen. Dabei wurden alle relevanten Fragestellungen rund um das Sharing-Konzept zur nachhaltigen Revitalisierung und Nachverdichtung von bestehenden Gründerzeitvierteln ausgearbeitet. Zudem konnte im Rahmen der Sondierung ein Pilotgebiet und interessierte AkteurInnen gefunden werden, die die Strategie in einem Folgeprojekt umsetzen wollen.
Ergebnisse des Sondierungsprojektes „Pocket Mannerhatten Ottakring“ 2016/17
Bei der vertieften Bearbeitung in der Sondierung wurden sozialwissenschaftliche, architektonische, städtebauliche, wirtschaftliche, energetische und rechtliche Aspekte berücksichtigt. Das Projektergebnis, ein ausgearbeitetes Konzept für räumliches Sharing, wurde in einem umfassenden, allgemein verständlichen Planungshandbuch dokumentiert. Dieses steht zum Download auf www.pocketmannerhatten.at zur Verfügung.
Die zentralen Möglichkeiten des Tauschens und Teilens sind:
Grünflächen: Diese Option zielt auf den Zusammenschluss von Innenhöfen, Vorplätzen oder Vorgärten zu größeren, zusammenhängenden Flächen. Auch eine parzellenübergreifende, großflächige Fassadenbegrünung kann im Rahmen dieser Option realisiert werden.
Mobilität: Mit dieser Option können zukunftsfähige Formen der Mobilität gefördert werden. Mehrere Beteiligte können eine Nachbarschaftsgarage errichten oder einen gemeinsamen Fuhrpark an Fahrrädern, Lastenrädern, E-Bikes und/oder Elektro-Autos anschaffen und nutzen.
Energiesysteme: Im Rahmen dieser Option können Energie- und Haustechniksysteme bzw. zugehörige Flächen vernetzt und gemeinsam effizienter genutzt werden. Haustechnikelemente, z.B.: Solarflächen, können liegenschaftsübergreifend optimiert positioniert werden. Wenn Systeme in einer hinlänglichen Größe ausgeführt werden, können die Beteiligten von einer Effizienzsteigerung und Skaleneffekten (= Kostensenkungen) profitieren.
Gemeinschaftsräume: Mit dieser Option werden Zugangsrechte zu spezifisch genutzten Gemeinschaftsflächen, z.B. Fitnessraum, Musikraum, etc. getauscht. Das ermöglicht eine größere Vielfalt und Auswahl an Nutzungen, ungenutzte Räume werden belebt.
Erschließung: Diese Option bezieht sich auf die Barrierefreiheit von Bestandsgebäuden und gezielte Durchwegung von Gebäudebereichen. Sie ermöglicht es den NutzerInnen mehrerer Liegenschaften, z.B. einen gemeinsamen Aufgang bzw. Aufzug zu errichten. So kann eine kosten- und ressourceneffizientere Erschließung entstehen.
Dachflächen: Diese Option kann gewählt werden, um (begehbare) Dachflächen zusammen zu schließen, und somit für mehrere Beteiligte, z.B. als Dachgarten oder Bewegungsfläche, nutzbar zu machen.
Baumasse: Die Veränderung der gebauten Stadtstruktur ist ein zentraler Aspekt der Stadtentwicklung. Für manche Veränderungen, wie z.B. Rückbau von Gebäuden, ist ein liegenschaftsübergreifender Lösungsansatz sinnvoll. Die Option umfasst gemeinsame Nachverdichtung in Form von Gebäudeaufstockungen, Dachbodenausbauten oder Hofverdichtungen, auch kombiniert mit den Rückbau von dicht bebauter Stadtstruktur.
Erdgeschoßzone und öffentlicher Raum: In der gründerzeitlichen Stadt sind Erdgeschoßzonen für eine Vielzahl an gewerblichen Nutzungen häufig zu kleinteilig. Mit der Option können Flächen in kleinteiligen Stadtstrukturen gebündelt werden. So werden größere, zusammenhängende Flächen im Erdgeschoß eingerichtet, der zugehörige öffentliche Raum wird in das Konzept mit eingebunden.
Zwischennutzung und Soziales: Bei dieser Option geht es vor allem um die Organisation von Kooperationen, die Integration und Solidarität befördern. Dies kann temporärer genutzter Leerstand sein, eine Wohnung, die solidarisch kostenneutral zur Verfügung gestellt wird oder organisierte Nachbarschaftshilfe. Es handelt sich dabei um keine „klassische“ bauliche Option im Sinne der anderen Sharing-Möglichkeiten. Die gezielte Förderung des sozialen Miteinanders und Partizipation sind aber sehr wichtige Bausteine für die nachhaltige Stadtentwicklung.
Joker: Der Joker ist eine flexible Sharing-Option, die es ermöglicht, der Einzigartigkeit jeden Ortes und jedeR AkteurIn Rechnung zu tragen, die verschiedenen Möglichkeiten des Sharing zielgenau zusammen zu stellen sowie neue Ideen und Sharing-Möglichkeiten in das Konzept zu integrieren.
Ausgleichssystem mit Förderimpuls
Viele Stadtentwicklungsvorhaben können nur unter Zuhilfenahme öffentlicher Zuschüsse umgesetzt werden. Die Strategie von Pocket Mannerhatten zielt darauf ab, ein gemeinwohlorientiertes System mit alternativen, nicht-monetären Fördermöglichkeiten zu entwickeln. Somit sollen zukünftig die öffentlichen Förderstellen finanziell entlastet und weitere Steuerungsmöglichkeiten geschaffen werden. Die Überlegungen des Teams beinhalten neue Formen der Unterstützung, wie mögliche Erlässe von Abgaben, sowie praktikable Überlegungen für punktuelle Ausnahmen im Planungsrecht und in der Bauordnung. Voraussetzung hierfür ist die Bedingung, dass mit liegenschaftsübergreifendem Sharing langfristige Gemeinwohl-Effekte ausgelöst werden. Der im Sondierungsprojekt erarbeitete Entwurf für das Ausgleichssystem mit Förderimpuls („Bonus-System“) ist so weit ausgereift, dass er im Anschlussprojekt erprobt und bewertet werden kann.
Vor Ort: Geplantes Umsetzungsprojekt
Parallel zur theoretischen Ausarbeitung der verschiedenen Aspekte des Sharing fand im Sondierungsprojekt ein intensiver Aktivierungs- und Partizipationsprozess statt. Um ein geeignetes Gebiet für die Maßnahmen zu finden, wurde ein „Gebiets-Check“ entwickelt und angewendet: Mit dem Tool können die spezifischen Sharing-Potenziale in Stadtteilen und -blöcken ermittelt werden. In den Bereichen, in denen ein besonders hohes Sharing-Potenzial ermittelt wurde, wurden EigentümerInnen kontaktiert und zu Workshops und Gesprächen eingeladen.
So wurde ein Kollaborations-Cluster, ein Stadtblock in Wien Ottakring, ausfindig gemacht, in dem das Team in enger Kooperation mit EigentümerInnen und Verantwortlichen aus der planenden Verwaltung der Stadt Wien ein detailliertes Konzept für die Umsetzung vorbereiten konnte. Die Planungen zur Umsetzung werden allen rechtlichen, wirtschaftlichen, architektonischen, städtebaulichen und sozialräumlichen Anforderungen gerecht, und werden von den involvierten EigentümerInnen mitgetragen. Das Projekt wurde im Programm „Smart Cities Demo“ des Klima- und Energiefonds als Umsetzungsprojekt eingereicht und genehmigt.
Idee und Konzept: Arch. DI Florian Niedworok
Projektpartner: tatwort Nachhaltige Projekte GmbH (Projektleitung), Arch. DI Florian Niedworok – Studio Mannerhatten, TU Wien – Department für Raumplanung, TU Wien – Institut für Energiesysteme und Elektrische Antriebe, DDr. Gebhard Klötzl
Kontakt
tatwort Nachhaltige Projekte GmbH
E-Mail: pocketmannerhatten@tatwort.at
Website: www.pocketmannerhatten.at
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