10 Jahre, 10 Interviews: Ina Homeier

Die Smart Klima City Strategie Wien feiert 2024 ihren 10. Geburtstag! Doch was braucht es, damit eine Strategie Fuß fassen kann? Wie entsteht eine Strategie und wer schreibt sie? Was steckt hinter dem Begriff Smart City und wieso brauchen wir diese Strategie heute mehr denn je?

Wir nehmen das Jubiläum zum Anlass und blicken in unserer Reihe „10 Jahre, 10 Interviews“ auf die Anfänge und den Werdegang der Strategie – und natürlich in die Zukunft. Den Anfang macht Dipl.-Ing.in Ina Homeier: Sie ist nicht nur stellvertretende Abteilungsleiterin der Magistratsabteilung 18 für Stadtentwicklung und Stadtplanung. Als Projektleiterin der Smart City Wien ist sie auch eine der zentralen Wegbegleiter*innen der Strategie.

1. Rückblick und Meilensteine

Was waren die bedeutendsten Erfolge und Meilensteine der Smart City Initiative in den letzten 10 Jahren?

Ich bin 2011 nach langjährigem Auslandsaufenthalt unter anderem bei der Europäischen Kommission nach Wien zurückgekommen und wurde vom damaligen Abteilungsleiter der Wiener Stadtentwicklung und Stadtplanung, Thomas Madreiter, gefragt, ob ich mir vorstellen kann, mich dem Thema Smart City anzunehmen. Obwohl ich zu dem Zeitpunkt nur eine vage Ahnung von den Anliegen der Smart Cities und Community Initiative der EU hatte, habe ich zugesagt, da ich mich schon immer gerne neuen Herausforderungen gestellt habe. Das Thema Smart City war zu dem Zeitpunkt sehr stark durch die EU getrieben, welche die Smart City and Community Initiative ins Leben gerufen hat. Ursprüngliches Ziel war es, die EU 20-20-20 Ziele zu erreichen, nämlich die Emissionen um 20 % gegenüber 1990 zu reduzieren, den Anteil der erneuerbaren Energien auf 20 % zu erhöhen und die Verbesserung der Energieeffizienz ebenfalls um 20 %. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass wir gedacht haben, die Klimakrise mit diesen Zielvorgaben zu bewältigen. Um diese zu erreichen, haben wir uns wie viele andere österreichische Städte am Förderprogramm des KLIEN (Klima- und Energiefonds) beteiligt, das sich zum Ziel gemacht hat, die österreichischen Städte fit zum Abholen von EU Fördergeldern zu machen. In diesem Rahmen haben wir 2011 das Projekt „smart city wien“ gestartet, wo wir eine Vision für 2050, eine Roadmap bis 2020 und einen Aktionsplan für 2012-2015 entwickelt haben.

Das Ganze wurde in einem groß angelegten Stakeholderprozess durchgeführt, wo sämtliche betroffenen Dienststellen, aber auch städtische Unternehmen und stadtnahe Intuitionen beteiligt waren. Erfolg Nummer 1 war: wir haben das GEMEINSAM und auf Augenhöhe formuliert. Eine Erkenntnis dieses Austauschs war u.a.: Wir brauchen eine Dachstrategie, die nicht nur die nötigen sektorübergreifenden Ziele festsetzt, sondern auch den Rahmen spannt, um die notwendigen Akteur*innen zusammenzubringen, diese Ziele gemeinsam zu erreichen.

Erfolg Nummer 2: Diese „Smart City Wien Rahmenstrategie“ wurde unter der Schirmherrschaft des Wiener Bürgermeisters erarbeitet und am 25.06.2014 vom Wiener Gemeinderat beschlossen. Und ich durfte dieses Vorhaben – wie auch die nachfolgenden – leiten, mit einem Projektteam zusammengesetzt aus den unterschiedlichsten städtischen Bereichen.

Mit dieser Strategie, hat Wien eine absolute Vorreiterrolle in Europa eingenommen – Erfolg Nummer 3! Nicht nur durch den holistischen Ansatz, aber auch weil wir von Anfang an den Menschen in den Mittelpunkt gestellt haben und uns von einer „reinen“ Technologieorientierung klar distanziert haben.

Wenn man sich ambitionierte Ziele setzt, muss man die Zielerreichung auch monitoren und evaluieren. Dazu haben wir einen eigenen Prozess konzipiert und auch umgesetzt – das wäre dann wohl Erfolg Nummer 4 – und das Ganze mit 150 Akteur*innen aus 30 Dienststellen, stadtnahen Unternehm(ung)en und Institutionen und über 50 % Frauen. Das sind ganz schön mächtige Zahlen. Allein daran sieht man, wie viele Personen es braucht, damit eine Strategie entsteht und auch umgesetzt wird.

Eine Erkenntnis aus dieser Arbeit war, dass unsere Ziele nicht mehr ambitioniert genug sind, mittlerweile galt das Pariser Klimaabkommen als Vorgabe. Fazit: Die Strategie musste neuerlich überarbeitet werden, wieder mit der mittlerweile etablierten Wiener Smart City Community – dazu waren wir erneut im Gemeinderat, der die Überarbeitung 2019 beschlossen hat. Zusätzlich ist es uns gelungen die Strategie als die Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt Wien zu etablieren, indem wir mit unseren Zielen die nötigen Beiträge zur Erreichung der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen integrieren konnten.

Mit den Jahren wurde das Thema der Klimaneutralität und der Umgang mit (endlichen) Ressourcen immer wichtiger – auch auf politischer Ebene. Die Österreichische Bundesregierung hat im Regierungsübereinkommen für die Jahre 2020 bis 2024 festgelegt, die Klimaneutralität bereits mit dem Jahr 2040 zur erreichen.

Das Regierungsprogramm der Wiener Fortschrittskoalition hat sich ebenso der Erreichung der Klimaneutralität 2040 verschrieben, daher war eine neuerliche Überarbeitung der Strategie nötig. Was uns hier speziell gelungen ist, war den Fokus der Strategie auf die drei „Ks“ auszurichten: Klimaschutz, Klimaanpassung und Kreislaufwirtschaft. Dies bildet sich seit 2022 auch im Namen ab: Smart Klima Strategie Wien.  Die Strategie hat sich also in den vergangenen 10 Jahren etabliert, genauso ist sie mit der Zeit gegangen. Es gab einige Hürden, aber sehr viel mehr Erfolge.

2. Persönliche Highlights

Welches Erlebnis oder welche Begegnung im Rahmen der Smart City Initiative hat Sie persönlich am meisten berührt oder inspiriert?

Da gab es natürlich zahlreiche Begegnungen. Ich denke gerne an die Beschlussfassung der Smart City Rahmenstrategie 2014 zurück. Dazu wurden das Projektteam und ich in den Gemeinderat eingeladen, wir durften von der Tribüne aus zuschauen. Und nicht nur das, wir wurden auch ganz besonders begrüßt und uns wurde vom Herrn Bürgermeister explizit für unsere Arbeit gedankt.

Besonders berührt hat mich auch, dass meine Tochter vor zehn Jahren das Smart City Logo umgewandelt hat, und die Bögen der drei Dimensionen mit Menschen darauf gezeichnet hat. Da habe ich mir gedacht, mein Kind hat unsere Strategie verstanden: der Mensch ist und muss im Mittelpunkt stehen, was mir nochmal verdeutlicht hat, dass die Strategie von Grund auf sehr an den Bürger*innen orientiert ist.

3. Inspirierende Projekte

Gibt es ein Projekt aus den letzten Jahren, dass Sie besonders begleitet, inspiriert oder beeindruckt hat? Warum?

Mein aktuelles Projekt-Highlight ist die Klimapionierstadt Wien, zu der geschäftsgruppenübergreifend gemeinsam gearbeitet und versucht wird, die Ziele auf Quartiersebene umzusetzen und so die Transformation der Stadt voranzutreiben.

Nicht nur haben wir drei Pilotquartiere in Bearbeitung, als Unterstützung entwickeln wir auch ein Tool, um die Kolleg*innen im Magistrat bei der Übersetzung der Ziele auf die Quartiersebene zu unterstützen.

In diesem Kontext inspiriert mich das Konzept des Supergrätzls, das erstmals in Favoriten erprobt worden ist, ganz besonders. Es ist erstaunlich zu sehen, wie das Zusammenspiel aus verkehrsorganisatorischen Maßnahmen zur Unterbindung des Durchzugsverkehrs und der Umsetzung von Maßnahmen zur Erhöhung der Aufenthaltsqualität und Begrünung funktioniert und dabei eine ganz eigene lokale „Grätzl-Identität“ entstehen kann.

Spannend finde ich auch gerade bei der Umsetzung solcher Projekte den internationalen Austausch mit anderen Städten und das Voneinander-Lernen.

4. Bürger*innenbeteiligung

Inwiefern konnten die Bürger*innen in den letzten zehn Jahren in die Gestaltung der Smart City Klima Wien einbezogen werden?

Unser Prinzip war von Anfang an auf Bestehendem aufzubauen, da mussten wir nichts Neues erfinden, sondern konnten die vorhandenen Formate nutzen.

In der Stadt Wien existieren sehr viele Formate, welche dafür sorgen, dass Bürger*innen Möglichkeiten zur Beteiligung erhalten. Beispiele hierfür sind Beteiligungsmöglichkeiten an Straßenumgestaltungen, aber auch die neue Plattform der Stadt auf mitgestalten.wien.gv.at

5. Herausforderungen und Lösungen

Welche großen Herausforderungen mussten Sie auf dem Weg zur Smart Klima City überwinden und wie wurden bzw. werden diese gemeistert?

Die größten Herausforderungen stellen die Finanzierungen der nötigen Maßnahmen dar, aber durchaus auch das Miteinbeziehen und „an Bord“ Holen aller. Damit meine ich nicht nur den Magistrat, sondern auch alle Wiener Bürger*innen.

Auch der Fachkräftemangel ist ein Hindernis, da es in einigen Branchen nicht ausreichend (ausgebildetes) Personal gibt, um die für das Erreichen der Ziele notwendigen Maßnahmen umzusetzen, wie beispielsweise den Austausch von Gasthermen. Es müssen bis 2040 knapp 600 Tausend Gasthermen ausgetauscht werden.

Was uns jedenfalls gut gelungen ist, ist, dass in Österreich kein „Wettbewerb“ zwischen den Städten betrieben wird, sondern ein Verständnis, dass wir nur zusammen die Klimathematik lösen können, dazu gibt es einen regen Austausch und ein großes Bedürfnis voneinander zu lernen.

6. Soziale Aspekte

Wie berücksichtigt die Smart Klima City Strategie die sozialen Bedürfnisse und die Lebensqualität der Wiener Bevölkerung?

Smart City Wien bedeutet hohe Lebensqualität für alle. Eine Smart City ist nach dem Wiener Verständnis eine Stadt, die das „menschliche Maß“ nie aus den Augen verliert und die Bedürfnisse der Bewohner*innen in den Mittelpunkt stellt. Die Entwicklung einer zukunftsfähigen, lebenswerten Stadt ist nur dann erfolgreich, wenn alle davon profitieren und alle daran mitwirken können.

7. Persönlicher Ausblick

Was motiviert Sie persönlich, an der Weiterentwicklung der Smart City Klima Wien mitzuarbeiten, und was wünschen Sie sich für die Zukunft dieser Initiative?

Was mich jeden Tag aufs Neue motiviert, ist, die enorme Bereitschaft zusammen zu arbeiten, insbesondere, dass die jungen Menschen in meinem Team so super motiviert sind und sich mit einem unfassbaren Engagement dem Thema widmen. Ich freue mich sehr, dass sie diesen Weg mit mir gehen und ganz sicher auch in Zukunft weitergehen werden und ich ihnen hoffentlich viel mitgeben kann. Das ist mir besonders wichtig, aber auch ich lerne jeden Tag aufs Neue durch ihren frischen anderen Blick, sie bringen innovative Ideen und neue Ansätze, die wir in der Smart City brauchen. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass wir genauso motiviert weiterarbeiten, nicht aufgeben und die Menschen mitreißen können, den Weg mit uns gemeinsam zu gehen. Und dass Wien weiterhin in ihrer Rolle als Klimamusterstadt eine Vorbildwirkung hat.

8. Smart Klima City Wien erleben

Haben Sie einen Tipp für Wiener*innen und Besucher*innen, die die Smart Klima City Wien erleben möchten? Wo wird die Smart Klima City Wien Ihrer Meinung nach im Stadtleben besonders sichtbar?

Bei einem Spaziergang durch Wien kann man bereits einiges entdecken, das auf der Smart Klima City Wien basiert – beispielsweise das Supergrätzl Favoriten im 10. Bezirk, die Bernardgasse in Neubau oder auch fahrradfreundliche Umgestaltungen wie sie in der Praterstraße oder der Argentinierstraße derzeit entstehen. Hier sehen wir schon: Klimaanpassung und Verkehrsberuhigung gehen Hand in Hand. Es entstehen zahlreiche neue Radwege und auch der öffentliche Raum in unserer Stadt verändert sich. Wir können diese Entwicklung auch mit Zahlen belegen, bspw. mit der jährlichen Modal Split-Erhebung, die darstellt, wie die Wiener Bevölkerung ihre Wege zurücklegt: Die aktive Mobilität (Radfahren und Zu-Fuß-Gehen) erfreute sich in den letzten Jahren zunehmender Beliebtheit.

Auch Mehrfach- und Zwischennutzung spielen eine Rolle in der Smart City Wien: Wie gehen wir mit dem Platz, der uns zur Verfügung steht, optimal um? Wie nutzen wir einen Ort, der in seiner jetzigen Funktion nicht mehr benötigt wird oder von dem wir wissen, dass er sich in den nächsten Jahren verändern wird? Bei den neuen Wiener Bildungseinrichtungen ist das Prinzip der Mehrfachnutzung beispielsweise bereits Standard; Sport- und Freiflächen stehen außerhalb der Schulzeiten auch den Anrainer*innen zur Verfügung. In den letzten Jahren sind zudem in zuvor leerstehenden Gebäuden spannende Projekte wie etwa der Creative Cluster in Margareten, die Garage Grande in Ottakring oder verschiedene kleinere Projekte auf Grätzlebene wie z.B. die Kunstgalerie „Never at Home“ in Brigittenau entstanden, die zur Vielfalt der Wiener Grätzl und zur Identifikation der Bevölkerung mit ihrer direkten Wohnumgebung beitragen.

Einen idealen Überblick kann man sich durch die Spaziergänge zu „Gemma Zukunft“ verschaffen, die von unserer Abteilung angeboten werden. Es gibt auch einen eigenen Themenspaziergang zur Smart Klima City Wien.

9. Urban Legends

Welche urbane Legende über die Smart Klima City Wien würden Sie gerne entlarven oder bestätigen?

Smart City hat sich international in den Letzen Jahren immer stärker mit Digitalisierung verknüpft.  Daher wird auch die Wiener Smart Klima City häufig mit einem sehr technologischen Ansatz in Verbindung gebracht. Leider gehen damit auch Bedenken zum Datenschutz bis hin zur Sorge vor einem Überwachungsstaat einher. Für die Wiener Smart Klima City ist genau das nicht der Fall – in Wien verfolgen wir einen Ansatz, der sich stark an sozialer Innovation und orientiert und damit zur Lebensqualität aller beiträgt.

10. Visionäre Zukunftsbilder

Wenn Sie einen Tag in der Smart City Klima Wien im Jahr 2034 erleben könnten, wie würde dieser Tag aussehen?

In zehn Jahren bin ich bereits in Pension und starte daher meinen Tag in aller Ruhe mit einem Kaffee auf meinem Balkon. Es ist ein heißer Sommertag, da Wien aber in den letzten Jahren Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel gesetzt hat und zum Beispiel sehr viel in qualitative Begrünung investiert worden ist, ist das Mikroklima in meinem Grätzl trotz angesagter 35 Grad angenehm.

Zu Mittag setze ich mich auf mein Radl und fahre all die klimafitten verkehrsberuhigten Straßen entlang, die schon während meiner Zeit in der Stadtentwicklung und Stadtplanung geplant wurden und freue mich, dass sie noch weiter ausgebaut werden.

Möglicherweise bin ich mittlerweile schon Oma und hole daher am Nachmittag meine Enkelkinder aus dem Kindergarten ab. Wir gehen in eine der wunderschönen Freiflächen, die auf kurzem Weg zu erreichen sind, und genießen mit vielen Menschen die klimafitte Ausgestaltung. Den Tag beende ich, wie er angefangen hat – in meiner Wohnung, die durch die vielen neuen Bäume schön kühl geblieben ist.  Ich freue mich auf einen neuen Tag, an dem ich sehen kann, was die Smart Klima City Wien in den letzten zwei Jahrzehnten alles erreicht hat.

Danke für das Gespräch!

Das Interview ist auch auf dem Blog der Stadtentwicklung nachzulesen: https://blog.stadtentwicklung.wien.gv.at/10_jahre_smart_city/

Dipl.-Ing.in Ina Homeier ist stellvertretende Abteilungsleiterin der Magistratsabteilung 18 für Stadtentwicklung und Stadtplanung und als Projektleiterin der Smart City Wien eine der zentralen Wegbegleiter*innen der Strategie.